Eis

Kurzgeschichten

Kälte füllt einen düsteren, feuchten Raum. Im Hintergrund spielt eine leise, melancholische Klaviermelodie, doch weder ist ein Klavier noch ein Lautsprecher zu sehen.
Ein unnatürlich weiß glitzernder Nebel steigt langsam vom Boden auf. Er umspielt erst meine nackten Füße, dann kriecht er langsam bis zu meinen bloßliegenden Schienbeinen. Vom Nebel berührt zu werden, fühlt sich an, wie von winzig kleinen Eissplittern getroffen zu werden, doch bleibe ich, wo ich bin, weil ich Angst habe, auch nur einen Schritt zu tun.
In dem Versuch, irgendetwas in meinem Umfeld zu entdecken, das diesen wahrgewordenen Albtraum beenden kann, sehe ich mich langsam, gründlich um. Das Resultat zwingt mich fast in die Knie.

Nichts!
Da ist nicht!
Nicht mal eine Lampe ist in die Decke eingelassen. Die einzige Lichtquelle ist der weiße Nebel, der sich unaufhörlich weiter nach oben kämpft und nun fast meine Knie erreicht hat.
Die Angst in meinem Blut lähmt mich, aber die Hitze meiner Verzweiflung, der Überlebenswille, der sich in mir auftut, als hätte bis eben ein Tuch darüber gelegen, dass nun jemand weggezogen hätte, lässt mich aus meiner Starre entweichen. Alles, was jetzt noch zählt, ist, einen Weg zu finden, aus diesem Raum zu entkommen.
Getragen von halb gefrorenen Beinen, die bei jedem Schritt nachzugeben drohen, eile ich auf eine der Wände zu, die mich umgeben. So schnell ich kann, was ehrlich gesagt nicht wirklich etwas mit Schnelligkeit zu tun hat, weil ich das Gefühl habe, nach jedem Schritt, würden meine nackten, tauben Füße am Boden festeisen, fiebere ich meinem Ziel entgegen.
Meine Knie werden steif, als der Nebel erbarmungslos an ihnen leckt. Ich schaue nach unten, verzweifelt, aber nicht bereit, aufzugeben. Mit wachsendem Entsetzen muss ich beobachten, wie Frost meine Haut emporklettert.
Das Klavierspiel schwillt an. Es bleibt dieselbe, herzzerreißende Melodie in Moll voller Disharmonien, die mir unweigerlich Tränen in die Augen steigen lässt. Von überall her dröhnt sie mir entgegen, während ich weiter versuche, mich einen Schritt nach dem anderen vorwärts zu kämpfen.
Knackend festigt sich das Eis, das meine unbekleideten Füße und Beine unter einer dünnen Schicht verbrennt. Ihr friedvoller Glanz im Schein des Nebels und die Ähnlichkeit zu feingeschliffenen, überwältigend atemberaubenden Diamanten ist ein Hohn, der die erste Träne meine Wange hinabstürzen lässt.
Ich hatte verworfen, zu schreien, und auch dieses Mal, als ich den Mund öffne, dringt kein Ton heraus. Außer der Klaviermelodie, in deren Klang ich langsam mein Ende erkenne, ist alles ohrenbetäubend still.
Meine Beine versagen mir als Nächstes den Dienst. Sie frieren weiter und weiter ein, starr unter einer dünnen, aber undurchdringlichen Schicht Eis gefangen. Bis auf die Oberschenkel reicht bereits der schillernde Tod und als ich aufsehe, um zu betrachten, wie weit ich es noch hätte schaffen müssen, die Wand zu erreichen, die mich nicht hätte retten können, stelle ich fest, dass sie sich noch im selben Abstand zu mir befindet wie vor meinem Versuch, ihr näherzukommen.
Ich hatte niemals eine Chance gegen den Nebel, das Eis, diesen Ort. Weiße Rauchwölkchen zeigen mir, dass ich immer noch atme. Die Kälte dringt in meine Lungenflügel vor, wo sie unaufhörlich sticht und mir bewusst werden lässt, dass es sehr bald endet.
Inzwischen kann ich meine Beine nicht mehr fühlen. Das Eis bedeckt mich nun bis zur Hüfte. Es liegt eine Schönheit darin, wie es funkelt und glitzert, angestrahlt von dem überirdischen Glanz des Nebels, der unaufhaltsam weiter an meinem Körper nach oben wandert.
Tränen bedecken mein Gesicht. Das Klavier wird langsamer, spielt jedoch genauso schicksalhaft weiter, wie der Tod immer näher rückt. Während ich mit zitternden Fingern die nassen, kalten Spuren auf meinen Wangen nachfahre, frage ich mich, ob das Klavierstück enden wird, in dem Moment, in dem mein Leben endet, oder ob es darüber hinaus bis in alle Ewigkeit erklingen und den Tod ankündigen wird.
Noch mehr weißer Nebel dringt aus meinem Mund, doch diesmal vergeht er nicht in der Düsternis der Decke, er beginnt zu leuchten und sinkt herab auf den Boden, wo sich meine Atemluft mit dem Eisnebel verbindet und eins wird.
Der Tod streicht fast zärtlich über meine Rippen nach oben, wandert an meinem Rücken hinauf bis zu den Schultern, die erstarren, wie alles andere. Die Tränen, die meine Augen im Angesicht des Endes weinen, die ich noch immer mit den Fingerspitzen berühre, erstarren in Eiseskälte.
Jeder weitere Atemzug, nicht länger schmerzhaft in meinen Lungen, verwandelt sich in einen Teil des Nebels, der mich nun bis zum Hals bedeckt. Die Decke, die bisher nicht von dem Licht am Boden erleuchtet wurde, beginnt, in wunderschönen Farben zu erstrahlen.
Obwohl es das Eis ist, das mich tötet, liegt ein wundervoller Bann darin, eine einzigartige Ästhetik in Licht, Kälte und Klaviermelodie, die mich in meinen letzten Augenblicken sanft hinübertragen. Sie lassen alles ertauben, verblassen, bis nur noch die Tastenklänge und das Licht existieren, das Eis meine offenen, staunenden Augen erreicht, und ich mit Blick auf die Nordlichter der Ewigkeit beitrete.

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